Spieglein, Spieglein, wer ist die Dünnste im ganzen Land?


Magersucht ist längst kein unbekanntes Thema mehr, aber immer noch ein gesellschaftliches Tabu – sollte man meinen. Doch in sozialen entwickelte sich in den letzten Jahren ein gefährlicher Trend. Mädchen, oftmals eigentlich noch Kinder, veröffentlichen Nacktbilder von sich selbst, auf welchen sie völlig abgemagert zu sehen sind. Dafür erhalten sie im Netz erschreckend viel Zuspruch und werden so zu Vorbildern eines gesundheitsgefährdenden Körperkults.

Unter dem sogenannten Hashtag „#thinspiration“, einem Link auf dem sozialen Netzwerk Instagram, posten vor allem Mädchen freizügige Bilder von sich selbst. Darauf zu sehen sind größtenteils völlig abgemagerte Körper von oft noch sehr jungen Mädchen. Im April 2012 reagierte Instagram auf den gefährlichen Trend und verbot Hashtag. Der Trend immer dünner zu werden und dies durch gegenseitiges Anstacheln zu fördern, endet damit jedoch nicht. Unter Hashtags wie #thinspo, #thynspiration, #tighgap oder #bikinibridge geht das Posten weiter mit oftmals fatalen Folgen. Im Jahr streben in Deutschland rund 70 Menschen aufgrund einer Essstörung. Einer der neuesten „Trends“ begann im letzten Jahr mit der sogenannten Collarbone-Challenge. Die Teilnehmer betrachten es als besonders „schön“, wenn das eigene Schlüsselbein soweit hervorsteht, dass mehrere Münzen darauf gestapelt werden können, ohne dabei herunterzufallen.

Oftmals reicht den Betroffenen der eigene Account im sozialen Netzwerk nicht mehr aus, um sich selbst darzustellen. Extra erstellte Blogs, die sich ausschließlich dem Thema Magersucht auseinandersetzten, werden zu Plattformen, um sich gegenseitig motivieren, noch weniger oder gar nichts mehr zu essen. „Wenn man allmählich anfängt die Knochen zu sehen, bedeutet das noch lange nicht, dass du dünn bist. Das bedeutet, du solltest weiter abnehmen.“ Diese drastischen Worte schreibt „L“, die anonym in ihrem Blog über die „Religion“ Magersucht berichtet. Der Magerwahn ist für dieses Mädchen längst zur Lebenseinstellung geworden.

Eine Magersucht beginnt meistens im Teenageralter. Der Körper verändert sich, man kapselt sich von der Familie ab, übernimmt Stück für Stück selbst Verantwortung. Gerade ein vermeintlicher Kontrollverlust über das eigene Leben treibt junge Menschen in die Magersucht. Das Gewicht scheint dann meist das einzige zu sein, über was die Jugendlichen noch Kontrolle ausüben können. Das Überwinden des Hungergefühls wird dann als Erfolgserlebnis betrachtet und erhöht das sonst oft sehr geringe Selbstwertgefühl. Erste Indizien können zum Beispiel das Auslassen von Malzeiten, das Horten von Lebensmitteln oder besonders langsames Kauen sein. Diese Symptome sollten von Familie und Freunden möglichst früh erkannt werden. Eine Anlaufstelle für Angehörige von Betroffenen ist beispielsweise die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung. Auf www.bzga-essstoerungen.de gibt es unter anderem eine Broschüre mit ausführlichen Expertentipps und Erklärungen sowie ein Beratungstelefon.

Der Weg aus der Magersucht ist oft ein jahrlanger Kampf für Betroffene. Doch im Internet sind nicht nur negative Trends zum Thema zu finden. Auf magersucht-online.de bloggen unter anderem Betroffene für Betroffene und beschreiben ihren ganz persönlichen Weg aus der Magersucht. „Seid mutig – Sagt Ja! zum Leben“, motiviert eine Betroffene, die gleich zu Beginn ihres Textes zugibt, sich vor kurzem kaum hätte vorstellen können, einmal so etwas zu schreiben. Diandra Voigt, die 2013 ihr Buch über den Weg aus der Magersucht veröffentlicht hat, schreibt auf www.sein.de, einem Online-Magazin für ganzheitliches Leben, „Ich machte viele kleine Schritte – Tag für Tag – aber ich schätze, das müssen wir alle. Wir müssen jeden einzelnen Tag annehmen und überstehen, wenn wir einen weiteren Tag haben wollen und wir müssen jeden Tag unser Bestes geben, wenn wir ein gesundes und verantwortungsvolles Leben führen wollen“.

Franciska Wollwert