Aktuell überschlagen sich die Negativberichte über die Chatplattform Knuddels.de. Reportagen wie die des ZDF, in der sich Tuttlinger Polizeibeamte zwei Wochen lang als Kinder im Chat anmeldeten, oder der SternTV-Beitrag vom 3. April thematisieren sexuelle Belästigungen in Chaträumen. Dabei fällt der Name „Knuddels“ immer wieder. Laut Beate Krafft-Schöning, Expertin für sexuelle Gewalt gegen Kinder im Internet, gilt Knuddels schon lange als Geheimtipp in der pädosexuellen Szene. In der Anonymität des Internets kennen Täter keine Tabus. Ein Kind online anzusprechen ist eben doch viel einfacher als einen Übergriff auf dem Spielplatz zu riskieren. „Frischfleisch ziehen“ nennen es die Täter, wenn sie virtuellen Kontakt über solche Chaträume zu ihren Opfern aufnehmen. Dabei haben heute viele Kinder bereits eigene Computer inklusive Webcam im Kinderzimmer. Doch was sagen die Knuddelsbetreiber zu diesen Vorwürfen und was sollen Eltern tun? Wir haben uns selbst bei Knuddels.de angemeldet und auch unsere eigenen Erfahrungen in das Gespräch mit Christian Hemmer, Jugendschutzbeauftragter bei Knuddels, einfließen lassen.
Wir haben bei Knuddels.de zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um gegen Belästigungen vorzugehen bzw. diese zu unterbinden.
Jugendschutz verfolgen wir generell mit einem mehrdimensionalen Ansatz, mit dem wir präventiv, aktiv und kooperativ für sicheres Chatten gerade minderjähriger Nutzer eintreten.
So gibt es bei Knuddels.de einen sog. Kontaktfilter, mit dem unsere Nutzer einstellen können, von wem sie im Chat angeschrieben bzw. nicht angeschrieben werden möchten. Dabei können unsere Nutzer einstellen, dass sie nur von Nutzern eines bestimmten Geschlechts oder Nutzern eines bestimmten Alters direkt angeschrieben werden können. Bei minderjährigen Nutzern gibt es bereits altersentsprechende Voreinstellungen dieses Filters. Darüber hinaus gibt es bei Knuddels.de zahlreiche Wortfilter, durch die verhindert werden soll, dass Ansprachen mit sexuellem Hintergrund erfolgen können. Dabei berücksichtigen unsere Filter nicht nur einzelne Wörter, sondern auch Wortkombinationen bzw. Phrasen. Werden problematische Inhalte von einem dieser Filter erkannt, werden diese nicht an den Empfänger weitergeleitet. […] Die bei Knuddels.de getroffenen Maßnahmen bieten somit technische Maßnahmen, um Störungen und Belästigungen von vornherein zu verhindern, geben andererseits den Nutzern Möglichkeiten an die Hand, Störungen und Belästigungen an unsere über 6.000 ehrenamtlichen Administratoren und Channel-Moderatoren zu melden und klären die Nutzer zudem z. B. über verpflichtende Jugendschutztests und Info-Materialien für Eltern, Jugendliche und Lehrer auf, um einen sicheren Umgang mit dem Internet zu gewährleisten.
Sie berichten von einer Vielzahl von Jugendschutzmaßnahmen. Leider sind diese für Täter mit ein bisschen Geschick und Erfahrung sehr leicht zu umgehen. So ist beispielsweise die Altersverifizierung freiwillig oder die Textmustererkennung kann kinderleicht umgangen werden. Eltern, die nun Ihre Bemühungen um eine sichere Chatumgebung lesen, lassen sich schnell blenden und bekommen den Eindruck, dass Knuddels für ihr Kind ein sicherer Chat sein muss. Sind Ihre Jugendschutzbekundungen somit nicht eine Form von Augenwischerei, die den Eltern fälschlicherweise ein gutes Gefühl gibt und Knuddels so nur noch gefährlicher macht?
Zunächst einmal kann man nicht deutlich genug sagen: Knuddels.de ist kein „Kinder-Chat“. Dies zeigt auch bereits unsere Nutzerstruktur, da der weit überwiegende Teil unserer Nutzer volljährig ist: über 70% unserer Community sind Erwachsene, eine Anmeldung ist erst ab 14 Jahren möglich. Knuddels spricht auch mit keiner seiner Marketingmaßnahmen gezielt Kinder an oder versucht sie aktiv als Nutzer zu gewinnen. Dies ändert aber natürlich nichts daran, dass wir ein großes Interesse daran, haben, dass auch unsere minderjährigen Nutzer ohne Störungen und Belästigungen chatten können. Hierzu haben wir die unter Frage 1 ergriffenen Maßnahmen durchgeführt und arbeiten weiterhin stetig an neuen und innovativen Schutzkonzepten. Darüber hinaus sind wir überzeugt, mit Informationsmateralien zum sicheren Chatten – nicht nur bei Knuddels.de – einen Beitrag zur Förderung von Medienkompetenz zu leisten. Aufklärung ist dringend nötig und wichtig!
Sie sagen Knuddels wäre in erster Linie ein Erwachsenenchat und ihre Marketingmaßnahmen würden Kinder sowieso nicht ansprechen wollen. Nun ist die gesamte Aufmachung ihres Portals jedoch sehr kindlich, was schon bei der Namensgebung „Knuddels“ anfängt, mit dem auffällig farbenfroh-gestaltete Design der Chaträume weitergeht bis hin zu den „knuddeligen Knuddels-Smileys“.
Tatsache ist, dass Knuddels.de zwischenzeitlich überwiegend von jungen Erwachsenen genutzt wird. Schon hieraus ist ersichtlich, dass Knuddels.de gerade diese Zielgruppe besonders anspricht. Natürlich ist die Aufmachung von Knuddels.de verspielt. Immerhin bieten wir mit Knuddels.de auch eine Möglichkeit der Freizeitgestaltung, die unseren Nutzern Spaß machen soll. Dieser Inhalt soll auch durch das äußere Erscheinungsbild von Knuddels.de vermittelt werden. Ein „nüchterneres“ Erscheinungsbild wäre daher angesichts des Inhaltes unserer Seite nicht passend.
Sie betonen, dass die Knuddelsnutzer mittlerweile sowieso mindestens vierzehn Jahre alt sind. Fakt ist aber, dass diese Altersbegrenzung mehr als einfach zu umgehen ist, was Ihre Statistiken über Nutzeraltersgruppen natürlich verfälscht. Finden Sie wirklich, dass das eine gelungene Jugendschutzmaßnahme ist, die zur Lösung des „Pädophilenproblems“ beiträgt?
Durch die eingerichtete Zugangsbeschränkung möchten wir jüngeren Nutzern und auch deren Eltern deutlich machen, dass wir die Nutzung von Knuddels.de erst für Jugendliche ab 14 Jahren für sinnvoll halten. Schon allein deshalb halten wir die vorgenommene Umstellung für ein wichtiges Signal.
Ein Nutzer wird auf Grund seines auffälligen Verhaltens gesperrt, kann sich aber binnen wenigen Minuten mit einem neuen Account anmelden, indem er nur eine neue Emailadresse verwendet. Mit diesem Problem der Anonymität im Internet hat bekanntlich jede Plattform zu kämpfen, aber ist Knuddels in dieser Hinsicht auf Grund seiner Struktur nicht besonders anfällig?
Die Anonymität im Internet kann einerseits ein Problem darstellen. Andererseits ergibt sich aus dieser Anonymität gerade für jugendliche Nutzer aber auch einen Vorteil. Schließlich müssen Jugendliche bei Knuddels.de keinerlei Personalien in ihren Profilen preisgeben. Darin unterscheidet sich Knuddels.de von bekannten sozialen Netzwerken wie Facebook, in denen die Nutzer mit ihrem realen Namen angemeldet sind und Gefahr laufen, Opfer von Cybermobbing zu werden.
Sie unterstreichen, dass die Anonymität der Chatter im Netz ebenso ein Vorteil wie ein Nachteil sei. Nun fordert Knuddels einen neuen User aber explizit bei jedem Chatraumbetreten dazu auf, zum Beispiel ein Profilbild hochzuladen. Darüber hinaus können in ihrer Profilfunktion genauso Angaben, wie der vollständige Name, der Wohnort oder das tatsächliche Geburtsdatum veröffentlicht werden und selbst wenn ein junger Nutzer diese Angaben nicht ausfüllt, so geben doch gerade Kinder unter Beeinflussung des Gesprächspartners besonders leichtsinnig persönliche Informationen preis. Wie können Sie also sagen, dass die Chatstruktur Knuddels nicht besonders anfällig macht, gerade im Hinblick auf die vielen Vorkommnisse, die das Gegenteil beweisen?
Wir möchten noch einmal betonen, dass Knuddels.de kein Kinder-Chat ist. Denn Sie haben Recht, persönliche Informationen sollten gerade Kinder im Internet nicht preisgeben. Hierzu verleiten eher Plattformen wie Facebook, um dann gezielt Werbung zu verkaufen.
Die Struktur von Knuddels dagegen sieht grundsätzlich Anonymität vor, die sich bereits daraus ergibt, dass unsere Nutzer sich auf der Plattform eben nicht unter ihrem realen Namen, sondern einem Pseudonym bewegen. Die Nutzer sind nicht dazu gezwungen (und werden auch nicht aufgefordert!) reale Daten öffentlich zu machen, wenn sie unsere Plattform nutzen möchten. Unser Anliegen ist aber, eine Kommunikationsplattform für junge Erwachsene und Junggebliebene zu bieten. Wenn ein Nutzer also ausdrücklich möchte, kann er mehr über sich preisgeben und gegebenenfalls auch Fotos veröffentlichen, um zum Beispiel gleichaltrige Chat-Partner zu finden, die ähnliche Interessen teilen. Jeder kann selbst entscheiden, wie viel oder wie wenig er über sich preisgeben möchte.
Natürlich können Sie niemals genug Präventivmaßnahmen einrichten, um Knuddels zu einem komplett kindersicheren Chatraum umzugestalten. Trotzdem zeigen vergangene Vorkommnisse, mein Praxistest sowie die aktuellen Reportagen, dass gerade Knuddels Tätern eine sehr einfache Möglichkeit bietet, an junge Opfer heranzukommen. Sollten Sie nicht endlich den Schritt gehen und sich zu einem Chatroom für ausschließlich volljährige Nutzer umwandeln, der die Altersüberprüfung mittels Personalausweisnummer bei der Registrierung verpflichtend macht, anstatt mit ineffektiven Jugendschutzmaßnahmen Augenwischerei zu betreiben?
Wir arbeiten weiter daran, unsere bereits vorhandenen Jugendschutzmaßnahmen noch auszubauen und weitere Schutzmaßnahmen zu schaffen. Dabei halten wir den grundsätzlichen Ausschluss von jugendlichen Nutzern jedoch für keine Maßnahme des Jugendschutzes, sondern lediglich für eine Maßnahme mit der wir uns der Problematik entziehen würden. […]Nicht zuletzt ist es ja so: Die mit Abstand überwiegend Mehrzahl unserer Nutzer sind junge Erwachsene, die einfach den Spaß am Chatten suchen. Es wäre sehr problematisch, all diese Nutzer unter Generalverdacht zu stellen. Damit eins ganz klar ist: Jedes belästigte Kind ist eins zu viel und das gilt es zu verhindern.
medienbewusst.de bedankt sich bei Herrn Hemmer für das Interview!
Fazit von medienbewusst.de
Trotz der vielen Jugendschutzmaßnahmen auf Knuddels.de können wir die Seite NICHT empfehlen. Zwar unternimmt Knuddels viel, um einen sicheren Eindruck zu hinterlassen, jedoch beweist der Praxistest der Tuttlinger Polizei, die getarnt als elfjährige Sabrina in nur zwei Wochen von 114 Personen sexuell belästigt wurde, dass Knuddels‘ Jugendschutzmaßnahmen nicht viel bewirken können. Ich selbst musste leider bei meinem eigenen Praxistest erfahren, dass sich nicht viel geändert hat.
Doch was sollen Eltern tun? Das Chatten ist für jüngere Generationen nicht mehr wegzudenken, vielleicht ist es sogar das wichtigste Kommunikationsmittel überhaupt. Wir raten dazu, auf jeden Fall Plattformen wie Knuddels, die sich zum „Frischfleisch ziehen“ bestens eignen, ganz zu meiden. Solche Chatportale sollten, gerade für noch sehr junge Heranwachsende, komplett verboten werden. Eine gute Alternative wäre zum Beispiel der Instantmessanger „ICQ“, bei dem man praktisch keine neuen Kontakte kennenlernt, sondern konkret Freunde und Bekannte mittels einer ICQ-Nummer hinzufügt. Hier rät medienbewusst.de Eltern, die Freundesliste ihres Kindes ab und an durchzuschauen, ob sich auch wirklich nur bekannte Freunde aus der Schule oder dem Sportverein auf der Liste befinden.
Dennoch können und sollen Eltern ihre Kinder niemals allumfassend beim Surfen oder Chatten kontrollieren, der richtige Chat und eine umfassende Aufklärung über die Problematik kann jedoch schon einiges bewirken.
Miriam Köble