Virtuelle Fantasiewelten sind heutzutage weit mehr geworden als bloße Unterhaltung für Zwischendurch. Unzählige Spieler loggen sich tagtäglich online ein oder gehen offline in einzelspielerbasierten Rollenspielen (engl. „Role Playing Games“, kurz RPG) mit den verschiedensten Waffen auf die Jagd. Doch was jagen sie genau und noch viel wichtiger: Was ist ihre Motivation, um auf die Pirsch zu gehen? Es scheint verlockend, die Machwerke und ihre Wirkungen insbesondere auf Jugendliche über einen Kamm zu scheren. Wie sich zeigt, birgt auch das Thema Rollenspiele Licht- und Schattenseiten.
Sprechen wir zunächst einmal von den Gründen, die Menschen dazu bewegen, sich Rollenspielen zu widmen. Diese ähneln sich in den meisten Artikeln, die man findet, sehr oft. In vielen RPGs ist es dem Spieler gestattet, seine Figur nach persönlichen Vorlieben mehr oder weniger detailliert aussehen zu lassen. Im Spielverlauf selbst findet er dann oftmals immer bessere und ausgefallenere Ausrüstung, mit der auch ein Wandel im äußeren Erscheinungsbild einhergeht und daher der Selbstdarstellung zuträglich ist. Kernpunkt der meisten Rollenspiele ist das Lösen sogenannter Quests (Aufträge) und gelegentlich auch das von Rätseln, die dafür sorgen, dass das Spielerlebnis in einem voranschreitenden Kontext eine Geschichte vermittelt, die den Spieler unterhalten und motivieren soll, der Handlung weiter zu folgen. In deren Verlauf ist es nicht unüblich, dass eigene Entscheidungen getroffen werden müssen, die mehr oder weniger weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen. Hier wird oft argumentiert, dass diese Macht und Freiheit vielen eine Genugtuung und das Gefühl verschafft, in der (virtuellen) Welt wirklich etwas bewegen zu können, die sie im realen Leben nicht haben bzw. glauben nicht zu haben. Das Sammeln und Herstellen verschiedenster Gegenstände ist zudem mit einem Belohnungseffekt verbunden. Wer lange dafür „arbeitet“, um sich z.B. ein besonderes Schwert oder eine spezielle Rüstung zu schmieden, wird am Ende auf den langen Weg zurückblicken, den er dafür gehen musste, und stolz auf sich sein.
Das größte Problem im Bereich der Rollenspiele für Forscher ist, dass es bisher nur wenige Studien gibt, die deren Wirkungen auf die Spieler erfassen. Die Computerspielsucht ist nach wie vor nicht als Krankheit anerkannt, doch die Stimmen besorgter Eltern sind immer noch stark. Aber inwiefern kann man den Unterhaltungsmedien die Schuld für das Abdriften in die Sucht oder Schlimmeres geben? Studien in den Vereinigten Staaten, die herausfinden wollten, inwiefern das Selbstmordrisiko durch die Spielsucht bei Jugendlichen beeinflusst wird, konnten keinen empirisch belegbaren Zusammenhang feststellen. Vielmehr spielt in Fällen, in denen Vielspieler Suizid verübten, Alkohol- oder Drogenkonsum als intervenierende Variable eine große Rolle. Ebenso wirken das soziale Umfeld des Betroffenen sowie dessen persönliche Eigenschaften stark auf das potenzielle Suchtverhalten und die damit verbundenen Konsequenzen ein.
Die langfristige Beschäftigung mit Rollenspielen, insbesondere im Onlinebereich, kann aber auch eine Reihe positiver Effekte nach sich ziehen. Neben der Schulung der Hand-Auge-Koordination werden besonders beim Spielen in Gruppen Teamwork und zwischenmenschliche Kommunikation geschult. Die Spieler lernen, auch unter Druck Entscheidungen zu treffen, und dass ein kooperatives Voranschreiten zur Lösung eines Problems um einiges effektiver sein kann. Abseits vom Mehrspieler kann der Einzelspieler Selbstständigkeit durch die individuelle Auseinandersetzung mit verschiedenen Problemstellungen fördern. Da die Aufgaben im Laufe des Spielerlebnisses zunehmend anspruchsvoller werden, entwickeln Nutzer oftmals effektive Möglichkeiten zur Bewältigung dieser Herausforderungen und generell eine bessere Gesamtübersicht darüber, wo sie stehen, was sie erreichen wollen und wie sie dies am besten bewerkstelligen können. Die Vorstellung, dass solche Verhaltensmuster auch Einzug in die Probleme der Realität finden, ist nicht abwegig. Misserfolge führen in den meisten Fällen dazu, dass eine Passage im Spiel wiederholt werden muss. Sie wirken sich also nicht unmittelbar negativ auf das gesamte Spiel aus. Wie durch Versuch und Irrtum kann dies die Experimentierfreude positiv beeinflussen.
Doch auch auf der angedeuteten Schattenseite stecken einige Tücken hinter Rollenspielen, die vielen Eltern Sorgen bereiten. Zu den offensichtlichsten zählt wohl der hohe Zeitaufwand, den die meisten Nutzer in ein Spiel stecken. Je nach Publikum unterscheidet sich die Spieldauer einer Sitzung zwar, doch generell kann gesagt werden, dass im Schnitt fünf Stunden realistisch sind. Manche tendieren dabei dazu, den Bezug zur Realität zu verlieren. Das wird dann zu einem Problem, wenn das Spiel das gesamte Denken zu beherrschen scheint. Nachlassende schulische Leistungen gehören dabei zu den ersten Symptomen, wenn man es so bezeichnen möchte. Verbote helfen hier selten. Durch Ausschluss können sich Jugendliche in ihrem Freundeskreis isoliert fühlen und alternative Wege suchen, um spielen zu können.
Zu den beliebtesten Online-Rollenspielen gehören derzeit Runescape, Aion und World of Warcraft, die von insgesamt weit über zehn Millionen Menschen gespielt werden. Da für WoW neben den Anschaffungskosten auch monatliche Abonnementgebühren fällig werden, wachsen die sogenannten Free-to-Plays (dt. „kostenlos zu spielen“) weiter, was sich an Aion zeigt. So sehr, dass es bereits Publisher gibt, die sich gänzlich darauf fokussieren. Bekanntere Anbieter sind hier unter anderem Bigpoint und Gameforge. FTP-Titel im Bereich der Online-RPGs sind Spiele, deren Erwerb kostenlos ist. In den meisten Fällen ist lediglich die Erstellung eines spezifischen Accounts nötig, mit dem sich eingeloggt werden muss. Anschließend kann das Spiel heruntergeladen und installiert werden, ohne dass weitere Kosten entstehen. Im Spiel direkt können oft mit echtem Geld Aufwertungen oder neue Outfits erworben werden. Das Angebot unterscheidet sich von Spiel zu Spiel. Was auf den ersten Blick praktisch klingt, hat in Fachkreisen aber ein großes Manko, das zuweilen als „Pay to Win“ (dt. „Gewinnen durch Bezahlen“) bezeichnet wird. Viele an sich gratis spielbare Online-RPGs ziehen ab einem bestimmten Punkt das Spielerlebnis künstlich in die Länge. Sei es durch unnötig erschwerte Gegner, die mit kostenlos verfügbarer Ausrüstung deutlich schwerer zu besiegen sind oder durch unverhältnismäßige Vorteile für zahlende Kunden. Dadurch bremsen sie den Spielfluss und können zum Griff in die Geldbörse verleiten. Preise werden im Shop, der in der Regel direkt im Spiel aufrufbar ist, nicht selten in einer spielspezifischen Währung angegeben. Hier ist Obacht geboten, da man leicht den Überblick verlieren kann, wie viel Geld man am Ende in ein eigentlich kostenloses Produkt steckt. Die genauen Umrechnungszahlen unterscheiden sich nämlich teilweise sehr.
In einem Zeitalter, in dem Spiele auch auf einem kompetitiven Niveau gespielt werden, sind RPGs nicht mehr wegzudenken. Vielmehr sollten Fans und Spieler lernen, bewusst mit diesen umzugehen. Gleichzeitig sollten Eltern ein Auge darauf haben, wie lange sich ihre Kinder täglich damit auseinandersetzen, um frühzeitig eingreifen zu können, sollte die Passion außer Kontrolle geraten. Verbieten kann man die Spiele nicht und das ist auch gut so. Spiele verbinden schließlich heutzutage mehr als nur den Computer mit dem Internet.
Martin Härtig
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