Bettina Sieding ist freie Referentin für Jugend- und Medienschutz. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich damit, Medienkompetenz an Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu vermitteln. Der richtige Umgang mit dem Internet und der sinnvolle Einsatz von Sozialen Netzwerken sind Schwerpunkte ihrer Projekte. Für das Land Rheinland-Pfalz koordiniert sie die Jugendarbeit, vergibt Referate und geht auch selbst in Schulen, um mit Kindern und Jugendlichen in Projekten am PC und mit dem Internet zu arbeiten. Worum es genauer in ihrer Arbeit geht, erläuterte Bettina Sieding im Gespräch mit medienbewusst.de.
Frau Sieding, eines ihrer Projekte hat den Schwerpunkt Web 2.0 und Soziale Netzwerke. Welches sind die aus ihrer Erfahrung beliebtesten Social Networks?
Aus meiner Praxis kann ich auf jeden Fall sagen, dass es regional abhängig ist, wie stark verschiedene Netzwerke genutzt werden. Mit fünf Millionen Nutzern ist natürlich im Moment schülerVZ das, was bundesweit den größten Zulauf hat. Geht es mehr in den regionalen Bereich, spielt beispielsweise wer-kennt-wen.de in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und im Saarland eine große Rolle. In Bayern werden wiederum die Lokalisten stärker genutzt. Man kann das aber nicht so stark differenzieren, da die Schüler und Schülerinnen nicht nur in einem Netzwerk bleiben, sondern in mehreren angemeldet sind.
Welche positiven Erfahrungen können Kinder denn aus dem Umgang mit Sozialen Netzwerken und dem Internet erhalten? Oder anders gefragt, warum sollten Kinder und Jugendliche aktiv den PC und das Internet nutzen?
Die Nutzung ist in unserer heutigen Zeit und in der Gesellschaft, in der wir leben, einfach unabdingbar. Das gehört dazu, wie Lesen und Schreiben und Rechnen. Das hatte EU-Kommissarin Viviane Reding schon 2004 in der Presseerklärung “eLearning” so festgestellt. Der PC und das Internet sind eine Kulturtechnik und das bedeutet, dass Kinder das einfach lernen müssen. Auch nicht nur in einem informellen sondern in einem formalen Kontext. Sprich, wir brauchen das in der Schule als Anleitung. Die Kinder müssen auf die digitale Welt vorbereitet werden. Das heißt, sie müssen lernen: Wo ist eine Seite, die mir ein Problem macht? Wo ist jemand, der nicht ganz koscher ist? Für dieses Spannungsfeld ein Gefühl zu bekommen, das ist der Punkt bei dem Kinder dann auch Unterstützung brauchen.
Worin sehen Sie Möglichkeiten, im Internet erlernte Fähigkeiten in der “realen” Welt einzusetzen?
Nun, nehmen wir beispielsweise mal soziale und fachliche Kompetenzen, die man sich durch die Mitgliedschaft in einem Sozialen Netzwerk erarbeitet hat. Das gelingt vielleicht dadurch, dass man sich zu bestimmten Themen Gehör verschafft hat – dass man aktiv ist. Aber, es geht vor allem auch darum zu sagen “Ich schreibe nicht nur Quatsch, ich schreibe Beiträge, die von anderen auch beachtet werden!”. Das stärkt den Selbstwert und fördert die Selbstfindung und geht bis in den Bereich der Identitätsfindung hinein.
In welchen Bereichen besteht denn bei der Internetnutzung der größte Aufklärungsbedarf?
Den gibt es beim Erkennen von Werbung, kostenpflichtigen Angeboten und dem Datenschutz im Internet. In diese Richtung denken Kinder und Jugendliche häufig noch gar nicht. Für sie ist es sehr schwierig, Werbung überhaupt zu erkennen. Auf jeder Seite stehen Werbeeinblendungen, sei es nur durch Google AdSense oder beliebige andere Firmen, die Werbung auf Webseiten schalten. Der Übergang vom redaktionellen Inhalt zum Werbeinhalt verschwimmt. Für Kinder und Jugendliche ist es sehr schwierig, den Unterschied zu erkennen. Zur Frage des Datenschutzes, gibt es folgendes Szenario: Ein Jugendlicher meldet sich in einem Sozialen Netzwerk an und achtet schon darauf, dass er bei seinem Namen nur ein Kürzel oder einen Spitznamen öder ähnliches verwendet. Auch sein Geburtsdatum gibt er nicht richtig ein. Er versteckt möglicherweise gar noch sein Profil – aber er lässt zum Beispiel die Gruppen und seine Pinnwand bzw. sein Gästebuch offen sichtbar. Dann wird es mir als Nutzer des Netzwerkes sehr einfach gemacht, über die Pinnwand oder die Gruppenzugehörigkeiten des Jugendlichen, umfassende Informationen aus seinem Leben zu sammeln.
Wie kann dieses Wissen, diese Werte im Umgang mit dem Internet, effektiv an Kinder und Jugendliche vermittelt werden?
Zuallererst versuche ich herauszufinden, wo sich die Kinder und Jugendlichen im Internet überhaupt aufhalten. Dann frage ich sie, was sie die letzte Woche im Internet gemacht haben. In diesem Jahr war dabei auffällig, dass sie sich häufig über Youtube Musikvideos angeschaut haben und mindestens zwei sozialen Netzwerken angehören. Ich frage dann danach, wer sein Profil auf welche Art und Weise gestaltet hat, wer sie öffentlich zeigt und wer sie verbirgt. Anschließend zeige ich ihnen Beispielprofile, die gemeinsam besprochen werden. Da merkt man schon, wie der Eine oder Andere mit Grübeln beginnt.
Aus dieser Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen stammt auch ein Begriff namens “Cyber Mobbing”. Können Sie erklären, was das genau bedeutet?
Dabei geht es um Veröffentlichungen von Bildern, Videos und Texten, die ohne Einwilligung des Betroffenen über das Internet verbreitet werden. Das kann über einen unendlich langen Zeitraum geschehen. Die Schnelligkeit des Mediums wird dabei oft unterschätzt und die Daten verbreiten sich immer weiter. Zum Teil wissen die Betroffenen selbst nicht mal davon, dass sie gerade öffentlich bloßgestellt werden.
Sie schildern in ihren Vorträgen, dass die Medienerziehung von Kindern und Jugendlichen eine Gemeinschaftsaufgabe von Eltern und Schulen sein muss. Wie stellt sich das praktisch dar und gibt es Unterschiede bei dem, was eher durch Eltern und was eher durch Lehrer vermittelt werden soll?
Im Grunde genommen brauchen wir immer alle Drei: Die Schüler, die Eltern und die Lehrer. Es gibt überall soziale Systeme, ob das jetzt eine Familie ist, eine Schule, eine Klasse oder die Peergroup einzelner Schüler. Alles sind soziale Systeme. Und je nachdem, welcher Gruppe ich angehöre und wie das Wertesystem in dieser Gruppe gestrickt ist, bekomme ich bestimmte Sachen mit oder versäume sie. Das hängt wiederum von jedem Kind einzeln ab, ob es bestimmte Trends und Ströme auffängt oder nicht und sich zu gewissen Dingen hinreißen lässt. Wichtig ist, dass sich Eltern die Zeit nehmen, sich mit seinem Kind hinzusetzen und darüber zu sprechen, was es tagsüber macht. Für den Unterricht kann man es so gestalten, dass man durch Beispiele meinetwegen in Ethik, Religion oder Sozialkunde versucht klar zu machen, was im Internet noch okay ist und was nicht mehr. Es funktioniert wieder damit, dass man die Kinder und Jugendlichen selbst zum Nachdenken bringt.
medienbewusst.de bedankt sich bei Frau Sieding für das Interview und wünscht ihr für alle weiteren Projekte bestes Gelingen.
Im August 2009 erscheint eine Broschüre, die die Ergebnisse einer Projektarbeit zwischen Bettina Sieding und verschiedenen Medienberatern zum Thema Medienkompetenz vorstellt.
Felix Haak
Bildquelle:
Bettina Sieding
Collage: Felix Haak