Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Das zumindest denkt Carola R., alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Gemeinsam mit Jan und Nina lebt sie in einer mecklenburgischen Kleinstadt, fernab von allen Gefahren, die eine Großstadt bieten würde. „Ich möchte meine Kinder schützen. Sie sollen behütet aufwachsen können.“ Eine verantwortungsbewusste Absicht, die sie auf eigene Weise umsetzt.
Vor zwei Jahren eröffneten sich für Jan ungeahnte Möglichkeiten – er bekam sein erstes Handy. Endlich konnte er sich mit Freunden austauschen und verabreden, sein Leben gestalten, ohne dass seine Mutter immer Bescheid weiß. „Mein Handy ist mir wichtig, weil ich es in fast jeder Situation brauche. Deshalb sind da auch sehr private Sachen drauf.“ Was der 13-Jährige erst kürzlich erfuhr: Aus Sorge vor ungeeigneten Freunden, aber auch vor Gewaltvideos, von denen man immer in den Nachrichten hört, kontrolliert Carola sein Handy. „Ich kann ihn orten lassen. So weiß ich, zu welchem Freund er nach der Schule noch gegangen ist. Wann er deswegen schwindelt. Und ich kann sicher sein, dass er keine ihn schädigenden Videos besitzt.“
Wie Carola R. suchen immer mehr Eltern nach einer geeigneten Lösung für ihre Sorgen. Denn laut KJM 2008 besitzen bereits 92 Prozent aller Kinder und Jugendlichen ein Handy, Tendenz steigend.
Zu den Chancen der Handynutzung gesellen sich natürlich auch Risiken. Weil Kinder das Handy eher intuitiv nutzen, sind sie auch leichter jugendgefährdenden Inhalten ausgesetzt. Einer Umfrage zufolge befürchtet die Hälfte aller Eltern in der Europäischen Union, dass ihre Kinder auf dem Handy Sex- und Gewaltfilme sehen oder Opfer von Handymobbing werden könnten. Nun muss reflektiert werden, wie der Schutz der Kinder aussehen soll. Wie weit darf die elterliche Sorge gehen, bis aus dem Schutz des Kindes ein bloße Kontrolle wird? Und ist diese dann tatsächlich besser als Vertrauen?
Jan selbst hat keine große Angst vor den Gefahren der Handywelt. Klingeltonabos und Chats hat er bisher nicht genutzt. Seine Mutter habe ihm das auch verboten. Auch bei der Frage nach Gewaltvideos wirkt er entspannt. „Ich weiß, dass es gewalthaltige Handyfilme gibt.“ Seine Lehrerin habe erst neulich mit der Klasse darüber gesprochen. Sie erklärte, dass viele Inhalte nicht nur Kinder schädigen können, sondern auch unter Gesetzesstrafe stehen. Natürlich sei er schon manchmal neugierig. Und er kenne auch jemanden, der solche Inhalte besitzt. „Der will damit aber nur angeben.“ Tatsächlich wollen die Kinder schocken und provozieren, cool sein und Stärke beweisen.
Allerdings fehlt Kindern bei gewaltverherrlichenden Videos das rechtliche Vorstellungsvermögen. Es ist ihnen meist nicht bewusst, dennoch: Gemäß §131 StGB ist nicht nur das Herstellen, sondern auch das Verteilen solcher Inhalte strafbar. Deshalb fordern Juristen eine Kontrolle von Kinderhandys. Haben Eltern den begründeten Verdacht, dass ihr Kind verbotene Inhalte besitzt, müssen sie dem nachgehen. Eine unterlassene Kontrolle kommt der Verletzung der Fürsorgepflicht und einem Verstoß gegen das Jugendschutzgesetz gleich.
Ohne fundierten Verdacht jedoch steht das Persönlichkeitsrecht des Kindes dem elterlichen Recht auf Schutz der Familie entgegen, und mit zunehmendem Alter überwiegt das Recht des Kindes auf Privatsphäre. Eltern können zwar nicht wegen übermäßiger Kontrolle belangt werden. Dennoch beschränken sie dabei die freie Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit.
Seit er ein Handy besitzt, fühlt Jan sich unabhängiger und sicherer. Seine Ausgehzeiten sind länger und er darf weiter von zu Hause weg. Und in einem Notfall kann er schnell seine Mutter anrufen, damit die ihn bei einem verpassten Bus von der Schule abholt. Doch er ist ständig erreichbar und fühlt sich oft von ihr kontrolliert. „Ich mag es nicht, wenn sie ständig anruft oder wissen will, mit wem ich gerade SMS schreibe. Ich bin schon groß genug. Außerdem ist das meine Sache“, bemerkt er trotzig.
Neben Sperren für ungeeignete Internetseiten und teure MMS oder Premium-SMS gibt es inzwischen zahlreiche Zusatzsoftwares für besorgte Eltern: Mit Ortungssystemen wie ‘Kidsafe’ finden Sie ihr Kind schnell mit einer Genauigkeit von bis zu 50 Metern. Zudem sind bestimmte Telefonnummern sperrbar. So können Elternteile verhindern, dass ihr Sprössling schlechten Umgang pflegt. Einen Schritt weiter geht der Anbieter ‘Childwatch’. Beim sogenannten Geo-Fencing legen Eltern drei Sicherheitszonen für ihr Kind fest. Verlässt es diese, erhalten die elterlichen Handys sofort eine Warn-SMS. Und der Anbieter SmartLimits bietet ihnen noch mehr Möglichkeiten: Eltern können Telefonnummern blockieren und einstellen, zu welchen Tageszeiten das Handy Empfang hat, wie viel das Kind telefonieren und simsen kann. Ein Schweizer Anbieter plant gar die kindliche Totalüberwachung für ganz Europa: Das Angebot ermöglicht Eltern neben den bereits erwähnten Funktionen, Telefongespräche des Kindes als Mitschnitt anzuhören und SMS auf einer Internetseite lesen zu können. Das Kinderhandy verwandelt sich dabei zunehmend in eine elektronische Fußfessel.
Doch sollten sich Eltern wie Carola R. vor Benutzung solcher Software oder dem heimlichen Durchstöbern des Handys fragen: Wie hätten Sie sich gefühlt, als gläsernes Kind? Wenn ihre Eltern ihr Tagebuch gelesen und Gespräche mit ihren Freunden belauscht hätten, was hätten Sie empfunden? Denn ähnlich dem Tagebuch ist auch das Mobiltelefon ein Bereich der Privatsphäre. Textnachrichten mit höchst privaten Inhalten finden sich darauf. Ebenso die ganz persönliche Lieblingsmusik.
Daher empfehlen Beratungsstellen, einen solchen Vertrauensbruch zu meiden. Das Bundesamt für Familie, Senioren, Frauen und Jugend rät zu einem offenen Dialog statt heimlicher Kontrolle durch das technische Fernrohr. Absprachen zur Handynutzung, Benimmregeln und gemeinsames Entdecken von Bluetooth und WAP-Zugang stärken nicht nur das Vertrauen Ihres Kindes in Sie. Es leitet es auch zu einer maßvollen und kritisch-reflektierenden Handynutzung an. In Zusammenarbeit mit Schulen können auch Gesprächsrunden über die diversen Gefahren der Handynutzung dem Kind helfen. Für Ortung kann gelten: Nutzen Sie diese Dienste maßvoll, nicht bei jeder Gelegenheit. Sie dienen dem Notfall. Rufen Sie lieber an, falls Sie sich versichern wollen, wo Ihr Kind sich befindet.
Carola R. glaubt diesen Empfehlungen nicht. Mit Ihrer Angst verdienen die Anbieter des Ortungsdienstes gut. Was dabei entsteht, ist neben gelegentlichem offenem Streit ein ständiges beidseitiges Misstrauen. Nun stellen sich noch die Fragen noch die Fragen: Lohnt es sich, Kontrolle vor Vertrauen zu stellen? Wie sehr schadet es der Beziehung zwischen Jan und Carola auf lange Sicht? Und nennt man das eine behütete, glückliche Kindheit?
Kristin Steppeling
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Foto: Theresia Lichtlein