Die Wohnung sieht aus wie eine Müllhalde. Wo man hinschaut, liegen Verpackungen. Pizzaschachteln stapeln sich neben dem Computer. Vor dem Computer sitzt ein junger Mann – vielleicht Anfang 20. Genau lässt sich das aber nicht sagen, denn er sieht so müde aus. Diese Müdigkeit lässt ihn unendlich alt wirken. Er bemerkt niemanden, denn er schaut auf den Monitor, der vor ihm steht. Die Welt um ihn herum existiert nicht. Er lebt in seinem Spiel. So oder so ähnlich stellen sich viele Menschen Spielsüchtige vor. Aber wie sieht das in de Realität aus?
Schätzungen zufolge sind drei bis sechs Prozent von den sechzehn- bis dreißigjährigen Spielern betroffen. Bei den Spielen handelt es sich um sogenannte Massen-Mehrspieler-Online-Rollenspiele (Massively Multiplayer Online Role-Playing Games – MMORPG). Diese werden über das Internet mit anderen Spielern gespielt. World of Warcraft ist eines dieser Spiele.
World of Warcraft wurde 2004 von dem Computerspielentwickler Blizzard Entertainment veröffentlicht. Heute spielen allein in Deutschland 300.000 Menschen das Spiel. Der große Erfolg liegt wahrscheinlich an dem relativ einfachen Einstieg und der Interaktivität des Spiels. Für Viele ist es ein einfaches Hobby, das wie Reiten oder Klavierunterricht Zeit in Anspruch nimmt und auch etwas Geld kostet. Denn man muss nicht nur das Spiel an sich bezahlen, sondern es fallen auch noch Gebühren an. Ein Monatsabonnement kostet 12,99 Euro, ein Dreimonatiges 11,99 Euro und ein Sechsmonatiges 10,99 Euro. Das ist es Liebhabern des Spieles wert, um gegen Orcs und Nachtelfen kämpfen zu können.
Auch Alexandra P. kennt den Reiz dieses Spieles nur zu gut. „Man arbeitet sich hoch, man bekommt Belohnungen, und wenn man lange genug spielt, kann man sich eine virtuelle Identität aufbauen. Das ist wirklich faszinierend.“ Alexandra war selbst einmal aktive World-of-Warcraft-Spielerin. Schon bald musste sie jedoch feststellen, welche Opfer sie dafür bringen muss. „Viele Dinge nehmen einfach enorm viel Zeit in Anspruch und so setzt man sich lieber eine Stunde länger vor den Rechner, um eine Quest zu erfüllen, als sich mit Freunden im wahren Leben zu treffen.“ Ihr ist früh genug klar geworden, was wichtiger für ihr Leben ist. „Ich habe aufgehört zu spielen, als ich merkte, dass ich kaum noch über die Dinge, über die meine Freunde redeten, Bescheid wusste. Viele Dinge haben sie ohne mich gemacht, und als ich das merkte, wurde ich traurig und entschied mich gegen das Spiel. Mir ist mein reales Leben einfach wichtiger.“
Doch ab wann ist man süchtig? Der Weg in die Abhängigkeit ist schwammig. Fakt ist, dass es zu diesem Thema noch nicht genügend Forschungsergebnisse gibt. Das Krankheitsbild des Computerspielsüchtigen ist bis heute nicht anerkannt. Die American Psychiatric Association (APA) wurde aufgefordert zu untersuchen, ob die Diagnose für eine Aufnahme in das offizielle Diagnosesystem geeignet sei. 2007 verkündet die APA, dass sie die “Computerspielsucht” zurzeit nicht als psychische Störung betrachtet. Allerdings wird nicht ausgeschlossen, dass sich das bald ändern könnte, denn die Kritik daran wird in den Medien immer lauter.
Es existieren auch vier dokumentierte Todesfälle aus Asien. Der Tod ist direkt auf die Erschöpfung und das Verhungern zurückzuführen. Viele Menschen denken, dass exzessives Spielen in Asien viel normaler sei, als hier. Aber auch in Europa steigt die Zahl der Spieler an. Was kann man tun, wenn man eine Computerspielsucht bei seinem Kind, Verwandten oder Freund vermutet? Zum einen sollte man nicht sofort das Spielen verbieten. Oftmals handelt es sich gar nicht um eine Sucht, sondern wirklich nur um ein Hobby, das das Leben auch bereichern kann. Es wird erst kritisch wenn es das Leben nicht mehr bereichert, sondern es vollends einnimmt. Wenn folgende Punkte zutreffen, sollte man ein Gespräch zu dem Spieler suchen:
Spätestens, wenn der berufliche oder schulische Werdegang gefährdet ist, sollte eingegriffen werden. Man sollte versuchen mit dem Betroffenen über das Thema zu sprechen und ihn gegebenenfalls zu einer Therapie zu bewegen. In größeren deutschen Städten werden mittlerweile Therapien angeboten. Oftmals wird dabei auf eine Gruppentherapie gesetzt. Die Spielsüchtigen sollen spüren, dass sie nicht allein sind und es viele andere gibt, die einen ähnlichen Leidensweg hatten.
Gibt es Gruppen, die besonders gefährdet sind? Alexandra P. lacht, als ich sie frage, ob sie sich als weniger gefährdet für eine Spielsucht sieht, weil sie eine Frau sei. „Nein“, sagt sie, „ es gab in der World of Warcraft einige Frauen. Vielleicht waren es weniger als die Männer, aber dennoch denke ich nicht, dass wir weniger gefährdet sind. Es ist ein System, dass alle Menschen anspricht. Du löst Aufgaben und wirst dafür belohnt und so arbeitest du dich hoch, bis du in der virtuellen Welt Anerkennung und Ruhm erreichst. Das Streben nach Anerkennung ist meiner Meinung nach menschlich und nicht nur männlicher Art.
Aber ich sehe einen Zusammenhang zwischen Menschen, die von vornherein nur wenige soziale Kontakte hatten und einer Sucht. Menschen, die auf der sozialen Ebene Schwierigkeiten haben, können durch die Anonymität im Internet ihre Probleme kompensieren.“ Alexandra P. spielt weiterhin Videospiele aber Online-Rollenspiele kommen für sie nicht mehr infrage. „Ich bin glücklich so. Zum Vergnügen spiele ich Computerspiele aber ich achte immer darauf das meine sozialen Kontakte an erster Stelle stehen und ich finde so sollte es auch sein.“
Anzumerken bleibt, dass Computerspiele eine sehr schöne Erfahrung sein können und man auch viel dabei lernen kann. Allerdings sollte man darüber hinaus nicht sein wahres Leben vergessen, denn eine virtuelle Umarmung wird niemals denselben Effekt wie eine Umarmung in der Realität haben.
Sarah Hertel
Bildquellen:
2001 Copyright Blizzard Entertainment