Nachrichtenangebote für Kinder sind nicht nur im Fernsehen mit Programmen wie ‚Logo’ vertreten, auch im Internet kümmern sich Erwachsene um die Information einer jungen Zielgruppe. Eine Pionierin von ihnen ist Kristine Kretschmer, die zusammen mit ihrer Kollegin Annette Bäßler die Seite sowieso.de leitet. Das Netzwerk Seitenstark, dem sie angehören, ermöglichte zum Beispiel einen Anti-Mobbing-Chat. In Berlin sitzt die Redaktion der Seite. Dort sprach die Journalistin abends fernab von allen redaktionellen Pflichten über die Erfahrungen mit jungen Lesern und Cyber-Mobbing.
Frau Kretschmer, wie kamen Sie dazu, Kindernachrichten zu entwickeln?
Ich arbeitete für den Sender Freies Berlin, überwiegend an Kinderprogrammen. Für Annette Bäßler und mich war es naheliegend, uns 1996 selbstständig zu machen und in diesem Bereich tätig zu sein. Heute bringt sogar der SPIEGEL Kindernachrichten heraus, damals war die Medienlandschaft in dieser Hinsicht noch eher unterentwickelt.
Für Ihren Beitrag zum Jugendmagazin Moskito bekamen Sie 1990 den Robert-Geisendörfer-Preis, das Thema im Dokumentarfilmbereich war ‘Tod’. Wie schwierig war es, das kindgerecht aufzubereiten?
Das war tatsächlich eine der schwierigsten Sachen, die ich je gemacht habe. Meine Kollegin Monika Bach und ich konnten uns dem Thema nicht unbefangen nähern. Die Eltern eines Kindes, das einen Pferdewettbewerb gewonnen hat, um ein Interview zu bitten, ist natürlich absolut kein Vergleich dazu, sie auf den bevorstehenden Tod ihres eigenen Kindes anzusprechen.
Derart ernste Themen greifen sie auch auf sowieso.de auf. Beispielsweise den Entführungsfall in Kalifornien.
Das trifft sich mit unserem Anspruch, wie eine Zeitung zu funktionieren. Zu aktuellen Themen etwas zu schreiben, in denen Kinder Opfer oder Täter sind. Einerseits ist dieser Fall ja gut ausgegangen, andererseits stellen uns neue Themen wie die Landtagswahlen in Deutschland vor schwierige Entscheidungen. Wir haben Leser aus 120 Ländern und müssen uns fragen: ‚Ist das auch für die interessant?’
Denken Sie, es ist zeitgemäß, dass Kindern heutzutage derart ernste Themen präsentiert werden?
Das kann durchaus sein.
Bei welchen stoßen Sie dabei an Grenzen?
Da gibt es zum Beispiel juristische Themen, die sehr viel Wissen voraussetzen. Bildungspolitische, bei denen erklärt werden muss, wer das Sagen hat, wer entscheidet. Dann bekommen wir von Kindern Kommentare wie ‚Häh? Was soll das jetzt?’. In solchen Fällen ist das Ergebnis vielleicht spannend, aber das ‚Drum herum’ kaum zu vermitteln.
Sie sind mit sowieso.de eine der Initiatorinnen des Netzwerks Seitenstark. Was genau sind dessen Aufgaben?
Informell gründete sich Seitenstark bereits 2002, Stefan Müller von blinde-kuh.de brachte den Vorschlag damals in die Runde. Wir Gründungsmitglieder kannten uns, etwa von gemeinsam besuchten Veranstaltungen und Terminen. In erster Linie wollen wir die Vielfalt demonstrieren, welche die Kinderseitenlandschaft heutzutage zu bieten hat. Austausch und gegenseitige Unterstützung sind natürlich ebenfalls Absichten. Wir legen Qualitätsmaßstäbe fest, denen wir uns unterwerfen.
Was ermöglichte Ihnen die Kooperation bisher und wie professionalisierte er sich?
Mit Unterstützung von Professor Hartmut Warkus und der Universität Leipzig konnten wir die Seiten durch einen moderierten Chat für Benutzer miteinander verbinden. Für 50 Chatter ist dort Platz, das ist von der Moderation her noch zu bewältigen. Die neue Seite Sportspatz.de wäre ohne das Netzwerk und die Förderung von ‚Ein Netz für Kinder’ ebenfalls nicht möglich gewesen. Seit Dezember 2007 sind wir zudem ein Verein. Das war dringend notwendig – wir brauchten eine juristische Struktur, um gefördert werden zu können. Mit einer Arbeitsgemeinschaft kann ein Ministerium bei Förderungen nichts anfangen. Das wäre zum Beispiel ein Zusammenhang, den man Kindern kaum erklären könnte.
Das Netzwerk brachte auch die Aktion ‚Mobbing – Schluss damit’ mit sich. Wie kamen Sie darauf?
Viele Mitglieder bekamen Post von Kindern, aus denen hervorging, dass Mobbing ein großes Thema ist. Seitenstark-Mitglied Michael Labbé wunderte sich, warum es in Deutschland so wenig dazu online gab – verglichen mit Schweden, wo er lebt und arbeitet. Die Idee für die Aktion war geboren, und zusammen realisierten wir eine Befragung, das Erzählforum, den Wettbewerb für Vorschläge gegen Mobbing, sowie den Anti-Mobbing-Chat.
Wie genau funktionierte der Chat?
Der Chat bot Platz für 25 Teilnehmer, die von einem Experten, von Beruf Lehrer oder Sozialpädagoge, betreut wurden. Jeden Donnerstag von 17 bis 19 Uhr konnten sich Kinder einloggen. Einer der drei moderierte dann die Beiträge, von uns stand auch jemand zur Hilfe dabei.
Betreuung für die Betreuer, sozusagen.
Ja, Kinder sind ungeduldig, sie wollen ihre Antwort sofort und sind bei Verspätung schnell beleidigt. Zwischendrin fragten wir uns zum Beispiel: ‚Wer war das jetzt, bei dem die Mutter so wenig Zeit hatte?’ Zur Hilfe erstellten wir Karteikarten, etwa 100 an der Zahl wurden während der Laufzeit des Chats, von September 2008 bis Juli 2009, gesammelt. Im Laufe des Jahres hatten wir 750 Besucher. So konnten wir die Kinder auch fragen, ob sie unsere Tipps befolgt haben und die wiederum konnten sich freuen, dass wir uns an sie erinnerten. Ab 24. September wollen wir wieder starten. Einziges Problem bleibt die Finanzierung. Natürlich finden alle das Projekt toll, aber ohne Weiterentwicklung gibt es keine staatliche Förderung. Wir versuchen also, es über Privatspenden laufen zu lassen.
Welchen Eindruck gewinnen Sie etwa durch die Befragungsergebnisse über die Bedeutung von Cyber-Mobbing?
Es kommt immer häufiger vor. In der Befragung 2007 überwog Mobbing, das im realen Leben erfahren wurde. Allerdings lag das auch daran, dass vor allem jüngere Kinder über die Fragebögen auf den Seitenstark-Webseiten teilnahmen. Daher kommt Cyber-Mobbing meiner Erfahrung nach eher in höheren Altersstufen vor. Ein Problem ist, dass sie davon schwer Ruhe bekommen, sie sind immer erreichbar und so kann es auch immer passieren. Kennen sie hingegen die Täter aus dem privaten Umfeld, können sie ihnen ausweichen. Ein größeres Problem ist, dass Eltern wenig hilfreich sind, weil sie oft einfach sagen: ‚Gut, dann gehst du eben nicht mehr ins Internet.’
Das halten Sie demnach für den falschen Weg?
Natürlich. Eltern melden ihre Kinder auch nicht aus Schulen ab, wenn es dort vorkommt. So wie Schüler und Schülerinnen einen Anspruch auf gewaltfreien Unterricht haben, haben sie auch einen darauf, sich im Internet zu bewegen, ohne beleidigt, beschimpft oder bedroht zu werden.
Was raten Sie also Erwachsenen, deren Kinder sich auf Opfer- oder Täterseite befinden?
Um es mitzubekommen, sollte ganz normal und ohne jegliche Schuldzuweisungen darüber gesprochen werden. Die Internetnutzung kann ein ganz normales Thema sein. Ähnlich wie klar gemacht wird, dass Fahrräder für bestimmte Dinge geeignet sind und für manche nicht, kann man beim Internet verfahren. Für Surfen ist es geeignet, für Mobbing nicht. Dazu müssen Erwachsene folgendes anerkennen – es kann Kindern Spaß machen, im Netz Mist zu verzapfen und in falscher Identität unterwegs zu sein. Ist das dann schon böse? Womit ich nicht sagen möchte, dass in Chats nicht schreckliche Dinge passieren, aber eben auch nicht jeden Tag.
medienbewusst.de bedankt sich bei Kristine Kretschmer für das Interview und wünscht Seitenstark und sowieso.de viel Erfolg beim Verwirklichen ihrer Projekte.
Tilman Queitsch
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Foto: Tilman Queitsch