Am Set von Tony Ten


Zu Besuch am Set von „Tony Ten“ – Eine Mischung aus Schwermetall und verbranntem Benzin liegt in der Luft. Die Strohreste zwischen den Pflastersteinen erinnern an einen urtypisch Mecklenburgischen Bauernhof und eine Fassade aus dunkelrotem Backstein umkleidet die Wände der Mälzerei in der Erfurter Thälmannstraße. Im Innenhof des seit 2000 nicht mehr produzierenden industriellen Gemäuers verbreiten die verschiedenen Modelle von Mobilbaggern Baustellenatmosphäre. Was auf den ersten Anblick einschüchternd wirkt, bedeutet für das Filmteam rund um „Tony Ten“ die perfekte Kulisse für den Kinderfilm, der im nächsten Jahr in den Kinos anlaufen wird.

Die deutsch-niederländisch-belgische Co-Produktion der Lemming Film/Amsterdam, Leipziger ma.ja.de fiction GmbH und uFilm aus Brüssel erzählt die Geschichte des zehnjährigen Tony, dessen Vater eine Kranfirma gehört. Als dieser von der Königin zum Minister ernannt wird, sieht Tony ihn zunehmend seltener und mutmaßt, sein Vater könne sich in die Königin verliebt haben. Fortan setzt er alle in seiner kindlichen Macht stehenden Mittel ein, seine Eltern wieder zusammenzubringen. Zwischen all den Baggern, Darstellern und der Crew spaziert hin und wieder ein Hund umher. Er hört im wahren Leben auf den Namen „Hesther“ und ist im Film der treue Gefährte „Reus“ an Tonys Seite.

Das von Mieke de Jong stammende Drehbuch thematisiert auf phantasievolle Weise das komplexe und besonders für Kinder sehr ernste Thema Scheidung und alle daran Mitwirkenden erhoffen sich internationale Resonanz. Trotz ausbleibenden „Happy Ends“, wie auch oftmals im realen Leben, soll es einen dennoch vergnüglichen Ausgang  geben. Heute wird Tony mit dem Kran „ausbüchsen“, um seinen Vater zu suchen. Die weiten Flächen, des als Kulturdenkmal ausgewiesenen Gebäudes, bieten mit den kleinen Studios im Inneren die ideale Grundlage für „Visual Effects“.

In regelmäßigen Abständen sieht man eine kleine Person über das Set eilen. Sie wirkt geschäftig, aber nicht gehetzt. Unterlagen in der einen, Zigarette in der anderen Hand und die obligatorische Headset-Verkabelung dürfen nicht fehlen. In diesem Zusammenhang fällt hier oft der Name Soraya, welcher ihr zuzuordnen ist. Sie übernimmt für diesen Film die Aufnahmeleitung. Damit ist sie zuständig für alle zeitlichen Abläufe, die Gestaltung der Drehorte und das Wohlfühlen aller Darsteller und Assistenten. „Es mag für manche stressig sein, aber ich mache das gerne und das muss man auch, sonst dreht man durch. Ich bin ein Workaholic und versuche den Leuten den Stress zu nehmen“, so die junge Frau mit dem arabischen Vornamen. Soraya Verbeke ist in Belgien geboren und über Umwege zu dieser Tätigkeit gekommen. „Einer meiner Freunde war im Filmgeschäft tätig, während ich Festivals organisiert habe. Er überredete mich dazu, mich in Sachen ‚Location’ auszuprobieren. Über einen anderen Freund kam ich zum ‚Location Management’, meinem zweiten Job, bis mich schließlich ein weiterer guter Bekannter im ‚Second Assistant Directoring’ ausbildete, da ich das nicht studiert hatte. So bin ich hier gelandet.“

Allmählich treffen alle Darsteller der heutigen Szenen nacheinander ein, so auch der elfjährige niederländische Hauptdarsteller Faas Wijn. Augenblicklich wird klar, warum ausgerechnet er sich aus den 250 gecasteten „Tonys“ durchsetzte. Gesucht wurde ein mutiger und zugleich einfühlsamer Junge, der in erster Linie natürlich wirken soll und genau das tut er.

Das Set ist aufgebaut, die Kamera steht, Licht und Ton sind ebenfalls zur ersten Probe bereit, ebenso wie die drei Darsteller, Tony, Filmmama „Sissy“ und „Wanda“, die Sekretärin des Vaters. Mit blauem Tape werden die letzten Bodenmarkierungen geklebt, damit jeder seine Position kennt. „Silence please!“ tönt Sorayas Stimme laut und deutlich aus dem Hintergrund und kurz darauf folgt ein aufforderndes „Action“ des Kameramanns. Die Klappe schnappt zu und ein erneutes „Action“ kündigt die erste Probeszene an. Tony steht, nach seinem Vater ausschauhaltend, vor der Veranda und ruft nach seiner Mutter. Sie tritt aus dem Haus, Hund Reus an ihrer Seite. Eine attraktive Dame im Sekretärinnen-Outfit steigt aus einem schwarzen Firmenwagen, bedeutet dem Jungen mit einem Wink einzusteigen und erklärt ihm, sein Vater würde sich verspäten. Er wirkt sichtlich geknickt, von seiner Mama ganz abgesehen. Als diese erkennt, wer da aus dem Auto steigt, wirkt sie verletzt, wendet sich Tony zu und erklärt fürsorglich melancholisch, sie könne doch nicht mit, aber er solle ruhig einsteigen. Daraufhin nähert er sich traurig dem Wagen. Es schließen sich ein „Cut“ vom Kameramann und ein „Thank You“ von Soraya an, die sichtlich froh über ausbleibende Störgeräusche zu sein scheint.

In der nächsten Stunde wird diese Szene gefühlte fünfzig Mal wiederholt, aus für den Zuschauer teilweise schwer nachvollziehbaren Gründen. Bei Zwischengeräuschen sorgt Soraya schnell für Ruhe, indem sie beispielsweise die Zufahrtsstraße sperrt. Ansonsten unterscheiden sich die Szenen lediglich in kleinen Nuancen, wie beispielsweise der Betonung der Sätze. Hauptdarsteller Faas Wijn, mit dem man beinahe mitfühlen möchte, nimmt das relativ gelassen hin. Er verzieht keine Miene und überrascht sein Publikum mit einer kurzen „Moonwalk- und Hip-Hop“-Einlage. Dann zupft auch schon wieder jemand an seiner Strickjacke, ein anderer eicht die Kamera per Maßband auf Kopfhöhe des Kindes und alle positionieren sich neu, da jetzt aus einer anderen Perspektive aufgenommen wird.

Nachdem diese Szene endlich „im Kasten“ ist, wird der Set-Umbau für eine Pause genutzt. Soraya kommt ihren Aufgaben nach, indem sie die Akteure zum Make-up und Umkleiden begleitet. „Ich habe nie mit einer so guten Crew wie hier zusammengearbeitet. Alle sind freundlich, lustig und wir lassen hier jeden Abend zusammen auf der Szeneterrasse ausklingen“, verrät sie.

Was bleibt sind tolle Eindrücke eines Drehtages und das nüchterne Fazit, dass ein solcher Dreh für alle Beteiligten extrem aufwendig ist. Mal sehen, ob das Werk von Autorin de Jong und Regisseurin Mischa Kamp später im Kino sein Versprechen halten und international Anklang finden kann, zu wünschen wäre es.

Katja Abel