Prof. Dr. Petra Grimm ist Dekanin der Fakultät „Electronic Media“ an der Hochschule der Medien in Stuttgart und beschäftigt sich mit der Erforschung mobiler Medien. Seit 2000 ist sie zudem Ethikbeauftragte der Hochschule und gleichzeitig Mitherausgeberin der Schriftenreihe der Medienethik. Speziell zu den Themen Handynutzungsverhalten und Internetnutzung von Jugendlichen und Kindern sowie Gewalt in den Medien veröffentlichte sie in den letzten Jahren mehrere Studien. Beispielsweise beschäftigte sich die Studie “Slapping, Bullying, Snuffing” erstmals in Deutschland mit dem Phänomen gewaltverherrlichender Videos auf Mobiltelefonen von Kindern und Jugendlichen.
Frau Prof. Dr. Grimm, worin besteht Ihre aktuelle Tätigkeit? Woran arbeiten sie derzeit im Institut?
Aktuell hatten wir am 14. Januar ein Symposium zur Thema “Medienrituale und Jugendliche”, welches auch publiziert werden soll. Außerdem bereiten wir derzeit eine große Konferenz zum Thema “Medien – Ethik – Gewalt”, die vom 17. bis 19. Mai 2010 in Wien stattfindet, vor. Bald wird eine Studie mit dem Titel “Porno im Web 2.0” fertiggestellt, welche im letzten Jahr durchgeführt wurde.
Worin liegt für Sie der Reiz der Erforschung mobiler Medien und der Nutzungsgewohnheiten von Jugendlichen und Kindern?
Mobile Medien ist ein relativ neues Medienphänomen. Den Erfolg des Handys konnte man sich vor zehn bis 15 Jahren noch gar nicht vorstellen. Beim Medium Handy werden sich zukünftig sicherlich weitere interessante Nutzungsmöglichkeiten ergeben, wie beispielsweise die Nutzung des Mobiltelefons beim Bezahlen von Waren, oder auch als Navigationsgerät. Neben den Chancen dieses Multifunktionsgeräts gibt es natürlich Risiken, die für mich damals Anlass waren überhaupt Studien in diesem Gebiet durchzuführen wie die Studie “Slapping, Bullying, Snuffing”.
Begriffe wie Kostenfalle, Handystrahlung, “Happy Slapping” finden immer häufiger Verwendung in den Medien. Warum ist es für viele Eltern trotzdem wichtig, dass ihre Kinder ein eigenes Handy besitzen?
Man sollte an dieser Stelle natürlich berücksichtigen, dass das Handy für Kinder und Jugendliche ein sehr wichtiges persönliches Medium ist, was viele nützliche und emotionale Funktionen im jugendlichen Alter einnimmt. Zum Beispiel kann mit dem Handy der Alltag schnell koordiniert und organisiert werden. Gerade Aufgaben oder Termine können mit der Familie und Freunden abgestimmt werden. So ist es ein Funktionsmittel für die Freizeitgestaltung, soziale Interaktion, private emotionale Kommunikation oder zur Aufrechterhaltung von Beziehungen. Weiterführend dient es natürlich zur Selbstdarstellung und zur Unterhaltung.
Heutzutage gibt es immer mehr Geräte, die speziell für Kinder angefertigt werden. Ab welchem Alter halten Sie ein Mobiltelefon für geeignet?
Das kann man, glaube ich, generell so nicht beantworten. Das hängt immer ein wenig vom Entwicklungsstand des Kindes ab, wann es zum Beispiel für den Gebrauch eines Handys kompetent genug ist. Deshalb sollte man solche Altersangaben immer mit Vorsicht genossen werden, aber ich denke schon, dass man einem Kind mit elf Jahren ein kindgerechtes Handy auf jedem Fall anvertrauen könnte.
Gehört der bewusste Gebrauch eines Mobiltelefons heute zu den elementaren Zielen einer modernen Erziehung?
Ich glaube, dass die Handykompetenz eine ganz elementar wichtige Kulturtechnik ist, genau so wie das Lesen und Schreiben. Es ist wichtig, dass diese Medienkompetenz der Jugendlichen erweitert wird, um bestimmte Aspekte und Erfahrungen, die ihnen dann in ihrem handybezogenen Alltag eventuell momentan noch nicht zugänglich sind, zugänglich zu machen. Es sollten vor allem positive und aktive Zugänge zum Medium Handy ermöglicht werden.
Das Handyverbot an Schulen ist ähnlich wie “Happy Slapping” ein oft diskutiertes Thema. Wie stehen Sie zu einem Verbot, würde es die angestrebte Eindämmung des Handykonsums bewirken? Wie könnte sich ein Verbot auf die Nutzungsgewohnheiten der Jugendlichen auswirken?
Ich glaube, man sollte das Thema nicht an Schulen ignorieren. Man sollte aber auch nicht einfach ein Verbot aussprechen, sondern mit den Schülerinnen und Schülern eine Art Agreement oder Vereinbarung treffen, dass das Handy zumindest während der Schulzeit ausgeschaltet bleibt. Eine solche Vereinbarung wäre im pädagogischen Sinne hilfreich, weil man zugleich die Frage nach dem Warum stellen kann. So könnte man mit den Schülern ansatzweise reflektieren, was denn nun positiv oder durchaus auch negativ an dem Gebrauch des Handys ist.
In Fachforen war das Argument seitens der Anbieter, die Inhalte wären außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs. Sehen Sie dennoch eine Möglichkeit, die Anbieter mehr in die Verantwortung zu ziehen, da sie ja immerhin die technische Grundlage liefern?
Ich finde schon, dass man die Mobilfunkunternehmen in die Pflicht nehmen kann. Natürlich ist dies wiederum rechtlich etwas beschränkt, da sie ja lediglich den Zugang zu solchen Inhalten vermitteln und selbst auch nur eingeschränkt kontrollieren können. Inhaltskontrollen sind den Anbietern natürlich ohnehin untersagt. Was sie natürlich machen können, wäre zusätzliche Vorkehrungen einzurichten, die Kinder und Jugendlich vor Missbräuchen und Angeboten von Dritten besser schützen. So wäre eine standardmäßige Vorkonfiguration von Handys bzw. den Speicherkarten denkbar. Stichwort wäre hier die OPT-In-Option, was meines Erachtens eine geeignete Schutzvorkehrung ist. Das bislang genutzte OPT-Out-Modell, also eine nutzerseitige Sperroption für problematische Inhalte, bietet keinen vergleichbaren Schutz. Es müsste als so zu sagen standardmäßig blockiert werden. Ich denke, man sollte die Mobilfunkwirtschaft auch stärker in die Entwicklung von Präventionskonzepten mit einbeziehen.
Wer trägt Ihrer Meinung nach letztlich die größte Verantwortung für den zweckgemäßen Handygebrauch? Die Eltern oder die jugendlichen Nutzer?
Also ich denke, einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Handy sollten Eltern und Kinder Hand in Hand lernen. Es ist wichtig, Interesse zu zeigen, mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen und das Thema Handy nicht zu tabuisieren. So sind Gespräche meines Erachtens generell sinnvoller als beispielsweise Handykontrollen, da das Handy für die Jungendlichen ein sehr persönliches Medium ist. Deshalb sollte man die Privatsphäre in diesem Bereich respektieren.
Haben sie einen generellen Tipp für Eltern, worauf sie bei der Medienerziehung ihrer Kinder achten sollten?
Ich denke, man sollte die Empathiefähigkeit der Kinder fördern und ihnen helfen, eine ethische Urteilsfähigkeit im Bezug auf den Umgang mit Gewalt zu entwickeln. Man sollte weniger darauf bauen, dass die Jungendlichen selbstständig mit diesem Thema umgehen können und ihnen beispielsweise Hilfestellung bieten.
medienbewusst.de bedankt sich bei Frau Prof. Dr. Grimm für das Gespräch und wünscht bei weiteren Forschungen viel Erfolg.
Carlo Märzke
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Zur Verf. gestellt von Prof. Dr. Petra Grimm.
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