Kinderbuchverfilmungen – ein Schreckgespenst der Literatur?


Emil und die Detektive – das war 1931 die erste internationale Kinderbuchverfilmung überhaupt. Seitdem ist ein Streit im Gange, der wohl nie ausdiskutiert sein wird. Hier kann es keine „Gewinner“ oder „Verlierer“, keine die Recht haben und keine die falsch liegen, geben. Dennoch ist dieser kulturelle Konflikt sofort wieder auf der Agenda, sobald etwa ein neuer Harry Potter Film in den Kinos erscheint, und der Diskurs aufs Neue entfacht wird: der Streit um die Verfilmung von Kinderbüchern.

Dabei wird sich nicht nur über das „wie“ gestritten, sondern sogar über das „ob“. Und das nicht ohne Grund: „Sowohl die Struktur- als auch die Rezeptionsunterschiede dienten den Literaturwissenschaftlern immer wieder als Argument, die Verfilmung von Literatur auszuschließen […].“ (Monika Dallwitz, Wissenschaftlerin). Besonders bei Kinderbüchern scheint diese Problematik besonders relevant. Literaturverfilmungen von Kinderbüchern würden, so viele Kritiker, dazu führen, dass die Phantasie des Kindes eingeschränkt wird. Durch die Passivität, in die das Kind hineingedrängt wird, würde eine kreative Eigenaktivität verhindert. Bilder, Stimmungen, Charaktere werden vorgegeben, besonders überzeugte Kritiker würden aufdoktriniert sagen.

Doch der Boom der Kinderbuchverfilmungen ist ungebrochen: Räuber Hotzenplotz, Hui Buh, Die wilden Kerle, Bibi Blocksberg und natürlich Harry Potter – fast alle Kinder- und Jugendfilme, die in den letzten Jahren in den Kinos erschienen sind, waren Literaturverfilmungen. Problematisch wird es tatsächlich dann, wenn im Film Handlungen verdreht oder Aussagen verfälscht werden. Somit entstehen ganz andere Sinnzusammenhänge oder Interpretationsaufgaben.

Ob Hans Christian Andersens verärgert war, als Disney seine kleine Meerjungfrau Arielle am Ende des Märchens nicht sterben lies, sondern die Geschichte zu einem Happy End führte, lässt sich nicht mehr feststellen. Fest steht jedoch, dass sich viele Autoren gegen eine Verfilmung ihrer Bücher wehren: „Ich kann die Bücher, aus denen gute Filme geworden sind, an einer Hand abzählen. Falls etwas Wunderbares aus meinem Buch werden sollte, werde ich mich fragen: Was habe ich falsch gemacht? Je weniger der Film dem Buch ähnelt, umso besser.“  – so der US-Amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen.

Der Literaturfilm also ein cineastisches Phänomen, das das „literarische Original“ bis zur Unendlichkeit degradiert? Wohl kaum, wenn man den Blickwinkel ändert. Man sollte sich bei Zweifeln in Erinnerung rufen, dass Buch und Film zwei unterschiedliche Medien sind, die die  Geschichten ihrem Genre entsprechend transportieren: „Eine Literaturverfilmung ist in erster Linie ein Film und etwas anderes als das als Vorlage benutzte Werk“ (Prof. Dr. Wolfgang Gast, Medienwissenschaftler und Medienpädagoge). Erkennt man den Film als selbständiges Werk mit eigener künstlerischer Ausdrucksfähigkeit an, so kann man dem Ganzen zumindest wesentlich entspannter entgegentreten und dem Kind eine angeregte Unterhaltung mit gutem Gewissen gönnen.

Und übrigens: In Zeiten von PISA und der dringend notwenigen Leseförderung gehen Kritiker davon aus, dass auch Buchverfilmungen eine Ursache für die Rückläufigkeit der Leseaktivität unter Kindern ist. Doch das ist falsch, wie unter anderem die österreicherische e-LISA academy für Lehrerinnen und Lehrer feststellte: „Entgegen dem Vorurteil, dass sich Literatur über das Fernsehen nicht vermitteln lässt, können wir durchaus von einer lesefördernden Wirkung des Fernsehens und des literarischen Kinderfilms ausgehen. Nach Fernsehsendungen von Kinderbuch-Verfilmungen steigen die Buchverkäufe der entsprechenden Vorlage regelmäßig an.“  Das sollte für den Kinofilm nicht anders sein.

Christina Schütze