Kaum haben sich die Zahlen der illegalen Filmdownloads über einschlägige Tauschbörsen relativiert, sorgt schon das nächste Gespenst für Unmut in der Filmindustrie: Sogenannte Streaming-Portale ermöglichen es den Internet-Usern, Filme per Live-Stream direkt im Internet anzuschauen. Leidtragende dieser neuen Entwicklung sind letztendlich die Kinos. Doch was verbirgt sich hinter diesem Phänomen und warum bleiben immer mehr Kinosäle leer? medienbewusst.de hat für Sie recherchiert.
„Jugendliche sind zuverlässige und begeisterte Kinobesucher, und die meisten Kinos blieben ohne diese Besuchergruppe leer.“
So oder so ähnlich klingen Thesen aus den goldenen Zeiten des Kinos – könnte man meinen. Doch gerade einmal 14 Jahre ist es her, dass Dieter Baacke, Horst Schäfer und Ralf Volbrecht in ihrem Werk „Treffpunkt Kino – Daten und Materialien zum Verhältnis von Jugend und Kino“ zu diesem Resümee gelangen. Vergleicht man damit die heutigen Schlagzeilen, so hat sich einiges geändert. Seit dem Jahr 2001 ist die Zahl der Kinobesuche kontinuierlich von 177 Mio. auf ca. 129 Mio. im Jahr 2008 gesunken. Betrachtet man parallel dazu die stetig steigende Zahl von illegalen Filmdownloads oder Streams, so braucht man kaum noch nach weitere Gründen für den Einbruch der Kinobesucherzahlen zu suchen. Ähnlich wie die Musikindustrie, wurde auch die Filmbranche vom digitalen Zeitalter eingeholt, ohne selbst mit der Zeit zu gehen. Streaming-Portale wie www.kino.to boomen, ohne dass die Filmindustrie selbst davon profitiert.
Mit momentan rund 270.000 Serien und etwa 61.000 Filmen (Stand: 18.12.09, www.kino.to) stellen solche Seiten eine massive Konkurrenz zu den Kinos und Videoverleihen dar. Dabei ist das Konzept denkbar einfach. Kostenlos, schnell und ohne Registrierung können User per Live-Stream auf das Archiv der Seite zurückgreifen und dabei teilweise Filme noch vor der eigentlichen Premiere anschauen. Trotz dieses scheinbar unschlagbaren Preis-Leistungsverhältnisses werden die meisten User jedoch nicht stutzig. Da stört dann auch die unbekannte Endung „.to“ der Seite nicht mehr, die für die Inselgruppe Tonga steht und nur dem Zweck dient, die Inhaber der Seite vor strafrechtlicher Verfolgung zu schützen. Aber auch die User selbst können rechtlich belangt werden, denn während der Film per Live-Stream angeschaut wird, speichern manche Videoplayer die komplette Datei auf der Festplatte des PCs und laden den Film damit indirekt illegal herunter.
Nichtsdestotrotz verwirren widersprüchliche Meldungen über eine angebliche Legalität dieser Nutzung mehr und mehr User. Selbst bei FOCUS Online ist zu dieser Thematik folgender Satz zu lesen: „Das Schmarotzen via Stream ist zudem völlig legal.“ Ein Irrtum, der sich leider auch durch viele andere Foren des Internets zieht. Auch die Gefahr von zweifelhaften Werbeangeboten, die nicht selten in Knebelverträgen enden, wird von vielen dabei unterschätzt. Durch ein oder zwei unbefangene Klicks auf gefälschte Anzeigen kann dies schnell in hohen Rechnungen enden und auch Viren und Trojaner lassen sich auf diese Art relativ einfach auf den PCs der User platzieren.
Doch trotz dieser Risiken scheinen sich viele Jugendliche ein Internet ohne die Streaming-Portale kaum noch vorstellen zu können. Umso überraschender ist es da, dass die Filmbranche nur zaghaft und eher unbeholfen auf diese neue Kinokultur reagiert. Seriöse Pay-per-View Angebote, wie etwa Maxdome, kommen nur langsam in die Gänge. Dort können einzelne Filme nach Zahlung 24 Stunden lang abgerufen werden oder auch durch monatliche Abonnements das ganze Angebot der Seite genutzt werden. Überzeugt hat das die Internetgemeinde jedoch noch nicht. Schuld daran ist zum einen ein teilweise recht lückenhaftes Archiv, zum anderen aber natürlich die aufzubringenden Kosten.
Dabei hat die Faszination Kino ihren Reiz noch nicht verloren. Sowohl der ästhetische Charakter, wie die auf den Zuschauer einströmende Sinnesflut, das Überdimensionale, als auch der soziale Charakter, die Freitagabend-Beschäftigung mit Freunden, hält die Filmbranche am Leben. Und doch muss sich etwas ändern, wenn auch in Zukunft die Kinosäle gefüllt bleiben sollen. Dafür gibt es auch schon konkrete Pläne in der Filmindustrie: Noch bunter soll es werden, schneller, atemberaubender. Mithilfe neuer 3D-Effekte, neuen Beschallungstechniken und alternativen Kinokonzepten sollen die Zuschauer wieder in die Kinosäle gelockt werden. „Social Gaming“ ist solch ein Versuch – ein Modell, bei dem Zuschauer durch spezielle Steuergeräte die Filmhandlung demokratisch mitbestimmen können und das Ganze dadurch interaktiven Charakter erhält. Die Kino-Kette Cinemaxx setzt dagegen auf ein ganz anderes Marketingkonzept: Anhand von sogenannten Kinoflatrates können Zuschauer mit einer einmaligen Zahlung von 250€ ein komplettes Jahr beliebig oft ins Kino gehen. Doch ob dieses Konzept die erhoffte Wiederbelebung der Kinobranche mit sich bringt, bleibt erst einmal abzuwarten, denn momentan liegt das Problem an anderer Stelle.
Zu leicht und bequem können sich Jugendliche vor dem heimischen PC die aktuellen Blockbuster anschauen, und zu entfernt stehen etwaige Folgen des illegalen Downloads. Erst wenn durch ein konkurrenzfähiges Online-Angebot ein Teil der neuen Kinokultur wieder abgegriffen werden kann und erst wenn auch die Preise für eine abendliche Filmvorstellung wieder in den für Jugendliche gerne zu bezahlenden Rahmen rücken, dürfte die Kinobranche neuen Aufwind bekommen.
Stefan Merz
Bildquelle: © flickr – oliverlangewitz, kinokompendium