Peter Eckhart Reichels Geschichte ist vielschichtig. Als junger Künstler eingeschränkt, ein quasi-erzwungener Berufswechsel und schließlich die Ausreise aus der DDR. Doch er hat seine Passionen nicht aufgegeben und ist heute ein erfolgreicher Hörbuchproduzent und -regisseur, sowie Autor.
„Aber letzten Endes bin ich doch allein gegangen. Ganz allein. Mit drei Koffern“, sagt Peter Eckhart Reichel nach einer langen Pause ziemlich leise auf die Frage nach seiner Ausreise aus der DDR. Dabei hört er sich nachdenklich und ein wenig erschöpft an.
Peter Eckhart Reichel wurde 1957 in Dresden geboren. Aufgrund von Wachstumsstörungen in der Pubertät ist seine Wirbelsäule verkrümmt. Er darf nicht schwer heben und nur sitzende Tätigkeiten ausüben. Die Suche nach einem Ausbildungsplatzes gestaltet sich in der ehemaligen DDR schwierig. Er entscheidet sich für den Beruf des Kürschners. Das Bearbeiten der Pelze macht ihm Spaß, aber er sagt auch, dass es eben nur ein Lehrberuf gewesen sei. Dass dieser Beruf heute weitestgehend ausgestorben ist, findet er vollkommen in Ordnung.
Peter Eckhart Reichel erinnert ein bisschen an Sting – nur etwas rundlicher. Außerdem trägt er am Hinterkopf einen Pferdeschwanz, den man von vorn nicht sieht. Man könnte sagen, typisch Künstler. Irgendwie ist er auch einer.
Sein liebstes Hobby war und ist das Lesen und Interpretieren von Literatur, auch der weniger erwünschten in der DDR. Peter Eckhart Reichel schrieb auch selbst Stücke. Als Jugendlicher gründete er aus dieser Euphorie heraus die Untergrund-Theatergruppe „DJS – Die Jungen Sinnlosen“. In heimischen Wohnzimmern oder leerstehenden Gebäuden traten Reichel und seine Mitstreiter vor privatem Publikum auf. Die Gruppe selbst empfand ihre Inszenierung als lustig und witzig. Sie wollten die Zuschauer aufmuntern, was auch gelang. Ohne es sein zu wollen, galt die Gruppe jedoch als politisch. So scheute sie sich beispielsweise nicht, das auf DDR-Verhältnisse umgeschriebene Stück „Ubu Rex“ des französischen Schriftstellers Alfred Jarry aufzuführen. Dass die Gruppe sogar als staatsfeindlich angesehen wurde, stellte sich erst heraus, als ungeladene Gäste bei einer Aufführung anwesend waren. Diese Stasi-Spitzel fanden die Aufführung alles andere als lustig und witzig. Sie drohten den Schauspielern mit Entzug des Studienplatzes oder dem Verlust der Arbeitsstelle.
Um sich selbst von diesem Druckmittel zu befreien, entschloss Peter Eckhart Reichel sich irgendwann, nur noch bei den kirchlichen Anstalten zu arbeiten. Also gab er aus freien Stücken seinen Beruf auf und ließ sich als Friedhofsgärtner anstellen. Seine Familie und Freunde unterstützten ihn in dieser Zeit. Stücke hat er weiterhin geschrieben, jedoch hat er sie nicht mehr aufgeführt.
Er fühlte sich zunehmend eingeengt und unwohl in diesem Land voller Repressalien. Einen letzten Ausweg sah er nur in einem Antrag auf Ausreise. Im Frühjahr 1988 wurde ihm die Ausreise ohne jegliche Vorankündigung bewilligt. Innerhalb von 24 Stunden musste er die DDR verlassen. Das tat er. Mit seinen drei Koffern brach er nach Rheinland-Pfalz auf.
Peter Eckhart Reichel empfand den gesamten Prozess als langwierig. Dies wird nachvollziehbar, wenn man sich verdeutlicht, dass er 13 Jahre andauerte. Zuerst die erzwungene Auflösung der Theatergruppe, dann der absolut gegensätzliche Beruf, schließlich die Auseinandersetzung mit den Behörden. Peter Eckhart Reichel hatte bei der Ausreise ein ungutes Gefühl, auch wenn er sie letztlich als innere Befreiung wahrnahm. Denn ob er überhaupt noch einmal in die DDR einreisen könne, um seine Familie zu besuchen, war ungewiss.
Peter Eckhart Reichel zog nach Westberlin. In den 90er Jahren schrieb er Stücke für den Rundfunk. Als solche teuren Produktionen aus Kostengründen zusammengestrichen wurden, entschied er sich für Hörbücher. Berichtet er von seiner Arbeit als Autor, Hörspielproduzent und -regisseur, blüht er auf und macht kleine Scherze. Er habe sich damals für Hörspiele entschieden, da dieser Zug im Eiltempo angefahren kam. Er sei einfach draufgesprungen. Außerdem sei dies verwandt mit seinen früheren Rundfunkproduktionen, so musste er sich nicht sonderlich umstellen.
Wenn er heute einen Produktionstext liest, hat er schon die passende Stimme im Kopf, die dieses Stück vertonen soll. Diese Stimme müsse er sich in der Postproduktion oft und viel anhören, denn sie nimmt die meiste Zeit in Anspruch. Sie sei sehr aufwändig und man spürt, dass das eigentliche Produzieren ihm mehr Spaß macht. Trotzdem merkt man auch, dass er bei dieser Arbeit professionell ist und auf Details achtet. Immerhin hört er sich bestimmte Passagen bis zu 50 Mal an, ehe die richtige Stelle für einen Schnitt gefunden ist. Auf die Frage, ob er manche Stücke selber vertone, muss er lächeln, natürlich nein, man brauche eine Ausbildung.
Besonderer Stolz schwingt bei dem Thema „HörCollagen“ mit. „Berliner Musen“ heißt eine Strecke des Hörbuchverlags „duo-phon-records“, für den Peter Eckhart Reichel als freier Produzent arbeitet. Dort wird die Geschichte des Kabaretts mit Texten, Musik und Originalaufnahmen von zum Beispiel Josephine Baker erzählt. Diese drei unterschiedlichen Komponenten ergeben die Collage. Er hat diese Aufgabe angenommen, da das Thema des Kabaretts zu dieser Zeit sein Steckenpferd als Autor gewesen sei.
2007 hat Peter Eckhart Reichel sich gedacht, er muss nicht nur für andere Verlage arbeiten, er kann das auch eigenständig. So gründete er seinen eigenen Verlag „hoerbuchedition words & music“. Dort hat er die Möglichkeit, von ihm geschriebene Stücke zu realisieren. Acht Produktionen wurden schon verwirklicht, einige sind sogar aus seiner Federführung entstanden. Er hat mehrere Auszeichnungen für seine Arbeiten erhalten und wurde 2008 für den Deutschen Hörbuchpreis nominiert. Zukünftig möchte er spezielle Angebote für Kindergruppen ausarbeiten, denn danach wird Peter Eckhart Reichel oft gefragt.
Trotz des Erfolges wirkt er manchmal bedrückt. Er muss seine Vergangenheit aktiv verarbeiten, wozu er teilweise das Medium seiner eigenen Hörspiele nutzt. Diese tragen dann Namen wie „Ubu Rex Saxonia“ oder „Die jungen Sinnlosen“, alles Anspielungen auf seine DDR-Vergangenheit. Auch damals hat ihm das Schreiben geholfen. Er sah es immer als Ausgleich. Einige seiner Texte von damals hat er mitgenommen in seinen drei Koffern. „Ich wäre nicht gegangen, hätte ich geahnt, dass ein halbes Jahr später die Mauer fällt”, sagt er wieder leise und klingt dabei nachdenklich.
Eileen Florian