Wie Nachtsichtgeräte Licht ins Dunkel der deutschen Kinos bringen sollen


Totale Überwachung oder probates Mittel gegen Raubkopierer? Im vergangenen Sommer beherrschte ein brisantes Thema für mehrere Wochen die Kinowelt. In einigen Filmvorführungen wurden die Kinobesucher mit Hilfe von Nachtsichtgeräten beobachtet, um ein mögliches Mitschneiden und illegales Verbreiten des Kinofilms im Internet zu unterbinden. Der Filmverleih Warner Bros. begründete das fragwürdige Vorgehen mit dem Verdacht, dass in den ausgewählten Kinos (unter anderem in Magdeburg, Erfurt und Leipzig) in der jüngeren Vergangenheit besonders häufig Raubkopien erstellt wurden und somit akuter Handlungsbedarf bestand. medienbewusst.de sprach mit Michael Wersdörfer, Referatsleiter für Datenschutz des Landesvewaltungsamtes Sachsen-Anhalt, Rebecca Gerth, Unternehmenssprecherin der CineStar-Gruppe und Christine Ehlers, Mitarbeiterin Public Relations der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen e. V. (GVU) über diese in vielerlei Hinsicht bedenkliche Vorgehensweise.

Konkret aufmerksam wurde das Referat für Datenschutz Sachsen-Anhalt Ende Juli dieses Jahres. In einem Magdeburger Multiplexkino wunderte sich das Kinopublikum des Films „Harry Potter und der Halbblutprinz“ über schwarz gekleidete Personen mit technischen Geräten, die sich am Rande der Kinoleinwand positionierten. Auf Nachfrage teilte der Kinobetreiber mit, es handele sich um eine präventive Maßnahme zur Unterbindung von Urheberrechtsverletzungen. „Raubkopien fügen der deutschen Filmwirtschaft jedes Jahr Schäden von mehreren hundert Millionen Euro zu, wobei illegale Abfilmungen von Kinovorstellungen sehr häufig das Ausgangsmaterial für Raubkopien bilden“, so Rebecca Gerth von CineStar. Aus diesem Grund rät die GVU vielen Kinobetreibern, sich vor solch kriminellen Machenschaften zu schützen.

Die GVU ist eine von den Unternehmen und Verbänden der Film- und Unterhaltungssoftware-Wirtschaft getragene Organisation. Ihre Aufgabe besteht in der Aufdeckung von Verstößen gegen die Urheberrechte ihrer Mitglieder und die Mitteilung dieser Verstöße an die Strafverfolgungsbehörden. Im konkreten Fall sprach die GVU eben solche Empfehlung an ausgewählte Kinos aus. „Harry Potter und der Halbblutprinz“ war für Warner Bros. der Blockbuster des Jahres. Mit seinen Mehreinnahmen lassen sich zahlreiche kleinere Filmprojekte überhaupt erst finanzieren. Zudem startete der Film weltweit gleichzeitig in den Kinos, sodass die sogenannten „Release Groups“, also Gruppierungen von Menschen, welche Filme illegal Mitfilmen und im Internet verbreiten, es besonders schwer hatten, zeitnah illegales Material ins Internet zu stellen.

Michael Wersdörfer, Referatsleiter für Datenschutz des Landesvewaltungsamtes Sachsen-Anhalt, berichtete gegenüber medienbewusst.de, dass der Filmverleiher Warner Bros. zusammen mit der GVU glaubhaft nachweisen konnte, dass in den ausgewählten Kinos in den zurückliegenden Monaten besonders häufig Filme illegal mitgefilmt wurden. Dies sei anhand eindeutiger Anhaltspunkte in den Raubkopien ersichtlich gewesen. In dem konkreten Fall greift das Bundesdatenschutzgesetz nicht. Dieses Gesetz gibt unter anderem die Regeln für die Videoüberwachung vor. Da jedoch die in diesem Falle verwendeten Nachtsichtgeräte über keinerlei Aufnahmefunktion verfügten, gäbe es aus Sicht des Datenschutzes keine Beanstandungen. So fiel auch das Urteil des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt aus. Nach längerer Prüfung wurde Ende September die Vorgehensweise von Warner Bros. für legitim erklärt. Allerdings bleibt das Referat Datenschutz in dieser Thematik skeptisch und aufmerksam. Zum einen wurden die Kinobetreiber angehalten, bei zukünftigen Kontrollen die Besucher noch vor dem Kauf der Kinokarten auf eine bevorstehende Observation eindeutig hinzuweisen und ihnen somit die freie Wahl zu lassen, den Film zu besuchen oder nicht. Dieser Forderung kam der Verband der Kinobetreiber laut Wersdörfer in einer freiwilligen Verpflichtung nach.

Christine Ehlers machte gegenüber medienbewusst.de deutlich, dass die GVU in keiner Weise Kinogänger verschrecken möchte. Allerdings ist das Abfilmen, auch wenn es sich nur um wenige Sekunden handelt und beispielsweise mit einem Handy geschieht, kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat mit ernsten Konsequenzen. Über diesen Sachverhalt sind sich aber gerade Kinder und Jugendliche oft nicht im Klaren, sodass die Überwachung in erster Linie als präventive Abschreckungsmaßnahme gesehen werden soll.
Es bleibt abzuwarten, welche Schritte Warner Bros. und andere Filmverleiher und Produktionsfirmen für die Zukunft planen. Momentan ist es in dieser Richtung recht ruhig geworden. Sollte es jedoch jemals zu einer bewussten Aufzeichnung und damit auch gleichzeitigen Speicherung der Daten kommen, würde das Bundesdatenschutzgesetz greifen. Hierbei läge natürlich ein besonderes Augenmerk auf den Schutz der Privatsphäre von Kindern und Jugendlichen, so Wersdörfer. Die Datenspeicherung seitens des Filmverleihers würde eine generelle Einwilligung aller Besucher voraussetzen. Jedoch ist gerade von sehr jungen Kinogängern eine vollkommene Übersicht über die Tragweite einer möglichen Einwilligung nicht voraussetzbar.

Wersdörfer persönlich sieht in den bloßen Kontrollen ohne jede Speicherung der persönlichen Merkmale der Besucher keinen besonderen Grund zur Besorgnis. Diese sei beispielsweise vergleichbar mit dem Kontrollgang eines Kinoangestellten durch die Reihen des Vorführraumes. Keine persönlichen Daten werden gespeichert und die Kontrollen dienen letztlich der Eindämmung der illegalen Filmverbreitung, welche der Filmindustrie Jahr für  Jahr immense finanzielle Schäden bereitet.

Laut Ehlers war der Einsatz der Nachtsichtgeräte im vergangenen Juli ein voller Erfolg. Eine akzeptable Raubkopie des neusten Harry Potter-Streifens kam erst nach knapp 2 Wochen ins Internet. Normalerweise geschieht dies bei Blockbustern bereits am ersten Tag der Vorführung oder am Startwochenende, in manchen fällen sogar schon vor dem offiziellen Kinostart. Es wird sich also zeigen, inwieweit diese Kontrollmaßnahmen zu neuen Erkenntnissen führen können und was den geneigten Kinogänger in der nächsten Zeit erwartet.

Manuel Mohr

Bildquelle: © Kelvin Cantlon – Fotolia.com