Wie viel Buch ist gut für Film?


Das Lesen von Geschichten versetzt Kinder in eine andere Sphäre – Vorstellungsvermögen und Kreativität sind stärker gefordert als beim Medium Film. Genau darin liegt die Herausforderung eines Filmes. Wenn eine Buchvorlage filmisch umgesetzt wird, birgt das entweder die Gefahr ihr nicht gerecht zu werden oder die Chance, über das Buch hinaus zu wachsen.

Bücher lassen Freiraum für die eigene Interpretation und Fantasie. sie erschaffen sich durch ihre Fantasie eine für sie einzigartige Welt. So kämpfen sie mit ihren Helden Seite an Seite gegen finstere Mächte, lösen knifflige Rätsel oder stellen sich den Herausforderungen des Kindseins. Es geht um Mut und Freundschaft, Gerechtigkeit und Liebe – alles Werte, die ihnen in der Realität begegnen. Beim Medium Film verhält es sich anders. Ein Film ist die Umsetzung einer fremden Idee und zeigt somit die Fantasiewelt anderer Personen. Diese Vorstellung, wie das Ganze auszusehen hat, kann demnach stark von jener der Kinder abweichen – angefangen bei Schauplätzen bis hin zu den Charakteren. Die Darstellungsweise überdeckt die kindliche Fantasie durch die  starken visuellen Reize, die über einen Film transportiert werden.

Die komplette Handlung eines Romans in einen Film zu verarbeiten, ist allerdings durch den Facettenreichtum und die vielen Details der Buchvorlage nahezu unmöglich. Es muss also ein Weg gefunden werden, das literarische Material zu verändern und dem Filmformat anzupassen. Es bedarf Kürzungen und oftmals werden sogar Handlungspassagen oder Charaktere gänzlich ausgepart, vor allem wenn sie nicht zwangsläufig notwendig sind, um die Geschichte zu verstehen.

Regisseure, die sich an einer Literaturverfilmung versuchen, haben mitunter ganz unterschiedliche Herangehensweisen und Beweggründe. Laut Marco Kreuzpaintner, dem Regisseur und Drehbuchautor von “Krabat”, “tut man sehr gut daran, möglichst nah an der Vorlage zu bleiben”. Die Visionen der Leserschaft sollten über der des Regisseurs stehen, denn die haben das Buch schließlich nicht ohne Grund so erfolgreich gemacht. Bestätigung erhielt Kreuzpaintner auch vom Romanautor Otfried Preußler persönlich, der verlauten ließ, er habe “seinen” Krabat in jeder Szene wiederentdeckt – ein großes Kompliment für Regisseur und Schauspieler.

Ganz anders sieht das die Regisseurin Franziska Buch, die im Jahre 2001 eine Neuinterpretation des erfolgreichen Kinderbuchs “Emil und die Detektive” von Erich Kästner inszenierte. “Literaturverfilmungen sind für mich nur interessant, wenn es sich nicht um wortgetreue Nacherzählungen handelt, sondern um subjektive Neuinterpretationen”, sagte sie in einem Interview gegenüber artechock. Altmodische Rollenbilder wurden im Film der Gegenwart angepasst. So wurde aus der alleinerziehenden Frau Tischbein, die den Frauen der Nachbarschaft die Haare frisiert und nebenbei noch den Haushalt führt, ein geschiedener, arbeitsloser Vater in einer ostdeutschen Provinz. Kästners Gustav, der Junge mit der Hupe, muss einer kessen Pony Hütchen weichen, die selbstbewusst die Rolle als Anführerin der Großstadtbande übernimmt. Die Kids fahren Skateboard, hören HipHop, tragen Markenklamotten und sind mit Handys ausgestattet. Moderne Themen, wie die Scheidung der Eltern, mit denen sich Kinder immer öfter auseinandersetzen müssen, werden in den Handlungsstrang eingeflochten.

Ein so genanntes Testscreening im Vorfeld zeigte sogar, dass die Kinder positiv darauf reagierten. Beim Testscreening wird einem Testpublikum die Rohfassung eines Films präsentiert und anschließend wird das Gesehene durch das Publikum bewertet. Mitunter werden dadurch Szenen des Endproduktes umgeändert, neu gedreht oder auch gestrichen. Der Produzent kann dadurch sicherstellen, dass der Film auf die angestrebte Zielgruppe zugeschnitten ist.

“Emil und die Detektive” und “Krabat” gehören in vielen Schulen zur Pflichtlektüre im Deutschunterricht. Die Verknüpfung der Medien Buch und Film kann zur Auflockerung des Lehrstoffes dienen – ein Zusammenspiel aus Lesen und Zuschauen spricht die Kinder auf mehreren Kanälen an und fördert die Konzentration.

Sandra Rogenz

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